Donnerstag, 1. Mai 2014

Erste Fassung: Rede zum 2. Mai

Liebe Arbeitslose weltweit - die es schon sind und die es noch werden wollen - ich übermittle Euch stellvertretend Grüße von den arbeitslosen Weddingern, die zum glorreichen 2. Mai als Weddinger Block zu Tausenden dem Ruf "Kieken wa uns mal diesen Prenzlauer Berg an" gefolgt sind. Und ich übermittle solidarische Grüße von denen, die heute in der Schlange des Grauens unserer Jobcenter stehen müssen, und nicht dabei sein können,

sie nennen es längst nicht mehr Arbeit. Sondern Erwerb. Man soll sich erwerben, was man verdient. Es gibt nichts mehr umsonst, alles, was uns zusteht, sollen wir uns noch einmal mühsam erjagen. Die Begründung: Die Menschen schätzen nicht, was sie nicht selbst erworben haben. Wenn ich aber meine Miete nicht bezahlen kann und man gibt sie mir, dann schätze ich das sehr. Ich zweifle aber, dass ein Finanzgenie, das Milliarden verzockt, dieses Geld, das er nicht erworben hat, ähnlich schätzt. Wenn ich nur Staub in den Taschen finde, dann macht mir das Angst. Diese Angst wird aber benutzt, um an unserer Würde zu kratzen. Die der Hartzer. Der Assis. Künstler und anderen Taugenichtse.

Das Vermögen wird weiter von unten nach oben verteilt. Jetzt wird aber auch noch der Rest der verbliebenen Arbeit von oben nach unten verteilt. Auch wenn die Zahl der offiziellen Arbeitslosen abnimmt, die Zahl der insgesamt im Land geleisteten Arbeitsstunden ist ebenfalls gesunken. Das kann nur bedeuten: Denen, die schon idealerweise nichts mehr zu tun hatten, wurde doch noch was aufgedrückt. Vielleicht gar etwas, das kein Mensch braucht und nur da ist, damit man alle Beteiligten beschäftigt. Die das oft gar nicht wollen. Nicht in dieser Weise. Lohnarbeit ist Geiselnahme, für eine Wahnvorstellung von Vollbeschäftigung. Niedriglöhne, Geißel der Menschheit.

Wir bauen neue Geräte, damit wir neue Geräte verkaufen können. Damit wir, wenn alle neue Geräte haben, auch noch neue Geräte verkaufen können, lassen wir die Geräte schneller kaputtgehen. Oder erfinden coolere Geräte, die noch schneller kaputtgehen. Für die Materialien plündern wir den Planeten, aber egal, neue Probleme machen neue Arbeit. Es soll doch jeder arbeiten dürfen. Deutschland exportiert viele Güter, heißt es, ich glaube, Deutschland exportiert mittlerweile auch Arbeitslosigkeit.

Kürzlich führte ich am Tresen ein Gespräch über Langeweile. Ein Aufstocker neben mir sagte, er würde sich eigentlich nie langweilen. Auch ich Aufstocker sagte, Langeweile wäre mir fremd. Die Angestellte neben uns aber meinte, ihr wäre oft langweilig. Wann, fragten wir. Montags bis Freitag, von 8.30 Uhr bis 17 Uhr. Als ich sie kennenlernte, hatte sie gerade ihr Philosophiestudium abgeschlossen. Sogar mit Abschluss. Es gibt sehr viele wie sie, und wir Aufstocker und alle hier: Wir wüssten schon etwas mit unserer Zeit anzufangen, wenn man sie uns lassen würde. Wir skandieren "Wir haben Zeit", aber wie vielen von uns hat man sie weggenommen.

Traditionell werden Schimpfwörter oft zu Kultbezeichnungen. In diesem Sinne fordere ich: Eine Umbenennung der traditionellen Arbeiterbezirke Wedding, Neukölln und Prenzlauer Berg in Arbeitslosenbezirke. Ich fordere außerdem Roboter, die nicht nach zwei Jahren Garantie garantiert nicht mehr funktionieren. Die geplante Obsoleszenz muss geplant obsolet werden. Ich fordere freie Tage und neue Feste - gebt uns unsere Zeit zurück.

Lohnarbeit ist Mühsal, Not und Last. Ihr Glücksverprechen liegt in einer unsicheren Zukunft: Wenn wir einmal Rentner sind. Andere Systeme, die uns das Blaue vom Himmel danach erzählt haben, haben sich auch als Unsinn herausgestellt. In diesem Sinne: Einen schönen 2. Mai - wir haben heute frei.